zurück zur Übersicht

Umgekehrtes 1989

Marktkommentar

US-Präsident Trumps Flut von Dekreten und erratischen Entscheidungen zur Zollpolitik versetzen Menschen und Märkte in Aufruhr. Von Verlässlichkeit keine Spur. Das erfordert eine strategische Neubeurteilung der Anlagepolitik.

Wendepunkt 1989

Die Welt befindet sich an einem historischen Wendepunkt – ähnlich wie 1989, jedoch mit vertauschten Vorzeichen. Damals fielen Mauern und die USA stiegen zur unangefochtenen Supermacht auf. Heute erleben wir das Gegenteil: Mauern entstehen neu – zwischen Ländern, politischen Parteien und Wirtschaftsräumen. Eine neue geopolitische Tektonik formiert sich, mit weitreichenden Konsequenzen für die Wirtschaft und die Kapitalmärkte.

USA: Vom Stabilitätsanker zur Unsicherheitsquelle

Die Vereinigten Staaten, lange Garant für Stabilität und Innovation, entwickeln sich zunehmend zur Quelle globaler Unsicherheit. Unter dem Motto „Make America Great Again“ (MAGA) versucht die neue US-Regierung, industrielle Kapazitäten zurückzuholen – mit hektischem Aktivismus, erratischen Strafzollankündigungen und geopolitischen Manövern. Bereits 100 Tage unter Präsident Trump reichten aus, um die anfängliche Zuversicht von Wirtschaft und Anlegern ins Gegenteil zu kehren. Der einst unwiderstehliche Sog der US-Wirtschaft für Investoren ist verflogen – zu gross ist die Unsicherheit über weitere MAGA-Initiativen. Der US-Exzeptionalismus ist damit vorerst beendet.

US-Dollar und -Anleihen: Vertrauen schwindet

Unsere Sorge gilt jedoch weniger der US-Wirtschaft oder dem US-Aktienmarkt, sondern den Kursen von US-Dollar und US-Staatsanleihen. In den USA gibt es nach wie vor hervorragende Unternehmen, insbesondere in den Bereichen Technologie und Energie. Allerdings ist der US-Aktienmarkt aktuell hoch bewertet und daher wenig attraktiv. Grössere Bedenken haben wir beim US-Dollar und bei US-Staatsanleihen. Deren Entwicklung hängt direkt von politischen Entscheidungen ab. Während Russland sich schon vor einem Jahrzehnt abgewandt hat und China seine Bestände nicht mehr ausbaut, stellen nun auch europäische Länder die Sicherheit ihrer USD-Reserven infrage. Insbesondere nach der Ernennung von Stephen Miran zum Wirtschaftsberater sind Ideen wie eine Abwertung des USD oder eine Zwangsumwandlung kurzfristiger Treasury Bills in hundertjährige Anleihen im Gespräch. Auch eine Gebühr auf von Zentralbanken gehaltenen USD-Reserven wird diskutiert. Solche Eingriffe ins Herz des Finanzsystems hätten unkalkulierbare Folgen.

Gefährlicher Kampf gegen den Machtverlust

Insgesamt versucht die US-Regierung, den Abstieg als Weltmacht zu verlangsamen, ja sogar umzukehren. Diese Strategie birgt aber hohe Risiken. Auf mittlere Sicht dürfte der US-Finanzmarkt unter der anhaltenden Unsicherheit leiden. Mit der Abkehr von US-Staatsanleihen – nicht mehr nur durch BRICS-Länder – und einer gezielten Schwächung des US-Dollars werden Kapitalströme aus den USA abfliessen. Für europäische Anleger bleiben einzig US-Unternehmensanteile investierbar, allerdings würden wir vorsichtig agieren, bis die Überbewertung korrigiert ist.

Europa – Der späte Aufbruch

Der russische Einmarsch 2022, die Europawahlen 2024 und die Wiederwahl Trumps haben Europa aus dem satten Wohlstandsschlaf geweckt. Spätestens nach der brüsken Abfuhr des ukrainischen Präsidenten Selenskyj im Weissen Haus ist Europa klar: Die Zeit des Schutzes durch den „grossen Bruder“ ist vorbei. Das stellt Europa vor eine grosse Herausforderung: Sicherheit ist die Kernaufgabe des Staates. Seit dem Mauerfall 1989 verlagerte sich der Fokus von militärischer auf soziale Sicherheit – letztere dominiert heute die Staatsausgaben. Kann man Sozialausgaben zu Gunsten der Verteidigung kürzen? In einer Demokratie ist das schwer durchsetzbar.

Neuer Schwung durch neue Schulden

Deshalb überrascht es nicht, dass der künftige deutsche Kanzler Friedrich Merz die Gelegenheit nutzte und mit dem abgewählten Parlament eine Verfassungsänderung durchbrachte, um neue Schulden für Verteidigung und Infrastruktur aufzunehmen. Nach 15 Jahren politischer Lethargie sind beide Bereiche in einem desolaten Zustand. Damit wird sich Deutschlands Verschuldung dem europäischen Durchschnitt annähern, was die exzellente Bonität Deutschlands schwächt und in Zukunft den Widerstand gegen gemeinsame Euro-Schulden verringern dürfte. Kurzfristig kann man darin positive Effekte sehen: Der fiskalische Impuls wird das Wachstum stärken und Investoren anziehen. Mittel- und langfristig dürfte diese Strategie jedoch den Euro belasten.

Strategische Neuausrichtung – Europa vor USA

Die Unsicherheit nach dem „trumpschen“ Zoll-Desaster ist hoch. „Business as usual“ ist vorbei. Diese neue Lage erfordert eine Überprüfung der persönlichen Anlagestrategie. Angesichts der erratischen US-Politik und des bevorstehenden fiskalischen Impulses in Europa erscheint der europäische Markt attraktiver als der in den USA. US-Staatsanleihen bergen inzwischen höhere Risiken als europäische – wir können allerdings beiden keinen Charme abgewinnen. Interessanter ist eine breit diversifizierte Positionierung auf den europäischen Fiskalimpuls sowie Investitionen in dividendenstarke Unternehmen in den Heimatmärkten Deutschland und der Schweiz. Deren Bewertungen sind nach der Börsenkorrektur wieder attraktiv. Zudem sind sie entweder binnenmarktorientiert oder global auf-gestellt, was sie wenig anfällig für Handelskonflikte macht.

zurück zur Übersicht